„Vielleicht war das echte Leben im Süden“
Jete Zhitias Debütroman Weltenwandel ist eine Reise durch Heimaten und führt zur Konstitution des eigenen Seins.
Kosovo, Albanien oder Deutschland? Was als Heimat bezeichnet wird, geht oft nicht mit dem Gefühl einher, sich heimisch zu fühlen. Dieser Diskrepanz geht Jete Zhitia nach, indem sie sich auf die Reise nach ihren Wurzeln begibt. Als 25-Jährige zieht die in Deutschland lebende Kosovarin in die albanische Hafenstadt Durrës, von wo aus sie ihre Suche nach Menschen, Geschichten und sich selbst beginnt.
Gjirokastra, Elbasan und Butrint sind nur einige der Orte, die wie aus einem fein erzählten Reisebericht Einhalt finden in diesem Buch. Meist fand die Erzählerin den Weg dahin per Auto, doch auch Fahrradtouren und Wanderungen sind Teil der Reise. Zwischendurch verlagert sich der Fokus vom literarischen Raum zu den Seelen, die diesen ausfüllen. «Mach so weiter. Genauso mach weiter. Verstecke niemals, dass du stark bist.» Dann drehte sie sich um und ging langsam zu ihrem Stuhl zurück. Der Sieg war von ihrem Körper gewichen. Sie war wieder eine alte Frau. Von Weitem scheuchte sie ihren Sohn herrisch fort. – schreibt die Erzählerin. Die zahlreichen Begegnungen mit ihr fremden Menschen, aber auch Familienmitgliedern, beschreibt sie in Beobachtungsszenen, unterstreicht diese mit authentischen Dialogen und lässt sie in ihre eigene Welt einfliessen.
Der Roman lässt die Lesenden durch die Städte und Berge Albaniens und Kosovos mitreisen, während man Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Autorin bekommt. So finden sich Rückblenden ihrer Vergangenheit, Erinnerungen des Krieges, kindliche Ängste, die im Jetzt neu geordnet werden, um sie in Einklang mit der Umwelt und der eigenen Identität zu bringen. «Ich erlaubte mir sehr lange nicht, zu fühlen, dass auch ich Schmerzen des Krieges in Kosova in mir trug. Andere Kinder hatten es schlimmer.» Die Auseinandersetzung mit der eigenen Trauer, die sich nach und nach in Akzeptanz, ja gar innere Stärke wandelt, ist eines der Themen, welche die Handlung umrahmen. In die Identitätssuche fliessen Formen von Freundschaft und Gemeinschaft ebenfalls mit ein. Auch die Frage nach der Herkunft lässt sich in dieser autodiegetischen Erzählweise aufwerfen und sogleich beantworten:
„Doch wer war ich? Woher kam ich?“, die Entwurzelung, die Sehnsucht und das Vermissen „Um zu lernen, zu lachen und nicht nur im Geiste, sondern auch im Körper zu Hause zu sein, entschied ich mich, nach Albanien zu gehen. Und obgleich ich, als ich endlich am Meer stand, in den Horizont blickte und statt des Salzes vor lauter Heimweh den süßen, harzgetränkten Duft sommerlicher Nadelwälder Deutschlands roch, fühlte ich auf der Erde, die den Albanern gehörte, eine mir nie gekannte Festigkeit.“
Das Zuhause findet die Autorin am Ende ihrer Reise und vielleicht findet es die eine oder andere Leserin gemeinsam mit ihr; im Süden, dort wo vielleicht das echte Leben ist.

Jeta Zhitia wurde 1992 in Prishtinë, Kosova, geboren. 1993 emigrierte sie mit ihrer Familie nach München. Nach dem Abitur studierte sie Anglistik in Graz. 2016 zog Zhitia für ein Jahr nach Albanien, um von dort aus ihren Traum, Schriftstellerin zu werden, zu verwirklichen. Nach ersten Kurzgeschichten und Gedichten, verarbeitete sie ihre Erfahrungen, Eindrücke und Identitässuche während ihres Aufenthalts literarisch in ihrem Debütroman Weltenwandel.